Was Pippi Langstrumpf mit häkeln und Krisenmanagement zu tun hat? Nun, Eine ganze Menge…
Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Euro-Krise – wo man sich in diesen Tagen auch hinwendet: Krisen bestimmen unseren Alltag. In der Zeitung, im Fernsehen, im Internet. Unausweichlich wird man mit der krisenbehafteten Realität konfrontiert. Es gibt kaum eine Chance dem ganzen „Kriseneintopf“ zu entliehen.
Außer vielleicht man hat das Glück und kommt nach einem anstrengenden und hektischen Arbeitsalltag an einem Handarbeitsladen vorbei. Bleibt einen Moment vorm „kuschelig“ gestalteten Schaufenster stehen, erinnert sich an die Handschuhe, Schals, Mützen oder Socken, die einen, meist von der Oma selbstgehäkelt oder -gestrikt, durch die kalte Jahreszeit oder durch eine Erkältung gebracht haben. Wie eine gute Suppe spendeten sie verlässlich Wärme, Geborgenheit und ein große Portion von Liebe – waren ja schließlich handgemacht. Von Oma.
Was aber hat Häkeln mit der Krise zu tun? Nun, genau das. Krisen sind kalt, abstrakt, teilweise unpersönlich, fremd, überwältigend und vermitteln ein Gefühl der Machtlosigkeit.
Häkeln ist anders. Häkeln ist produktiv, kreativ, bunt. Man erschafft etwas Neues, Einzigartiges, Besonderes. Etwas das Wärme, Geborgenheit und Liebe spendet und ausdrückt. Selbstgehäkeltes ist Nachhaltigkeit in reinster Form. Es schafft einen wahren und unverrückbaren Mehrwert, der nicht „schön-bilanziert“ werden kann.
In Island löste der Finanzcrash 2008 eine kleine „Woll-ution“ ausgelöst. Während zehn Jahre zuvor traditionelle Wollsachen noch als ziemlich verschroben galten, gelang der Wolle mit neuen Designs ein unerwartetes Comeback. Heute sind die Lopapeysa, die traditionellen Zackenmuster wieder auf vielen Pullovern und Jacken für Jung und Alt zu finden.
Die britische Künstlerin Lauren O’Farrell, Künstlername Deadly Knitshade dekoriert in Guerilla-Aktionen ganze Plätze Londons. Ihr verfolgtes Ziel ist „die Leute wieder auf die schönen Sachen im Leben hinweisen. Ich will ihnen die Augen öffnen und ein Lächeln schenken“. (Frankfurter Rundschau (online), Panorama, 02.03.2011)
Und auch hierzulande findet das Häkeln nicht nur zur kalten Jahreszeit immer wieder neue Anhänger. Man häkelt nicht mehr nur für Freunde, Familie und Haustiere. Man bestrickt und umhäkelt Bäume, Laternenpfähle, Postkästen, Fahrräder. Die Fantasie kennt dabei keine Grenzen.
Die moderne Gehirnforschung betrachtet das Häkeln und auch das Stricken als Sinneserfahrung und misst dem eigenen praktischen Tun eine große Bedeutung bei der Entwicklung von Lernverhalten zu. Es fördert nicht nur die Voraussetzung für differenziertes Sprechen und bewegliches Denken. Flinke Finger und flinke Gedanken verleihen Lebenssicherheit.
Und genau das ist die Sehnsucht in Zeiten der Krise – die Sehnsucht nach Sicherheit. Durch die Unmittelbarkeit des Häkelns hat jeder die Möglichkeit sich diese Sicherheit in die eigenen vier Wände zu holen. Abschalten, die Welt „da draußen“ ausblenden, um so Masche für Masche zur inneren Ruhe zu kommen und sich selbst das Gefühl der Sicherheit, Geborgenheit und Wärme zu verschaffen.
Und ein wenig Anarchie schwingt beim Häklen auch immer mit. Denn wenn man schon keinen merklichen Einfluss auf die große Politik nehmen kann, dann doch wenigstens auf seine direkte Umwelt. Frei nach Pippi Langstrumpf: „Ich häkel mir die Welt, wie sie mir gefällt.“
(Diesen Beitrag wurde bereits 2012 verfasst.)